Ein Abschied, bevor das Leben richtig angefangen hat
Während der Schwangerschaft mit unserem dritten Kind erfuhren wir, dass unsere Tochter eine lebensverkürzende Erkrankung hat. Wir entschieden uns dafür, dass unsere Tochter ihren Weg gehen soll. Dabei war uns wichtig, dass wir so schnell und gut wie möglich einen gemeinsamen Alltag ohne Klinik mit den 5 und 7 Jahre alten Brüdern haben wollten. Wir konnten uns jedoch auch nicht vorstellen, nach der Geburt von unserer Tochter direkt nach Hause zu gehen, und auf uns alleine gestellt zu sein. In der Hoffnung, hierfür einen Weg zu finden, besichtigte ich das Kinderhospiz in Stuttgart. Frau Müller führte mich durch die Räume. Die Umgebung dort wirkte auf mich direkt wie ein beruhigender Schutzraum. Ich war beeindruckt von den vielen liebevollen Details wie z.B. den frischen Blumen. Ich spürte, dass dies der Ort wäre, an dem wir als Familie unseren Weg in den Alltag finden können oder auch gemeinsam Abschied nehmen, wenn es notwendig wäre.
Ein Ort, der in schweren Zeiten jeden in der Familie im Blick hat
Die Geburt von unserer Tochter verlief komplikationslos. Leider konnte sie jedoch das Licht der Welt nicht erblicken, denn sie hatte sich vermutlich während der Geburt verabschiedet. Dies schmerzt uns bis heute sehr, dass wir nie in ihre Augen sehen, ihr Wesen erahnen, sie „erleben“ konnten. Ein großer Trost ist, dass wir am Tag nach der Geburt gemeinsam mit ihr und den beiden Brüdern ins Kinderhospiz einziehen durften. Wir wohnten in einem Elternapartment und unsere Tochter war in einer Wiege im Abschiedsraum. Dieser Raum war in den nächsten Tag unser wichtigster Ort – fast wie ein Schatz, den wir hüteten. Nur auf diesem Weg war es möglich, dass die Brüder in ihrem Tempo und auf ihre Weise entscheiden konnten, wann und wie lange sie zu ihrer Schwester wollten. Und wenn mein Mann und ich Zeit mit unserer Tochter haben wollten, wussten wir immer, dass unsere Jungs liebevoll und professionell betreut sind. Das gab uns den nötigen Freiraum, die wenigen Erinnerungen zu schaffen, die uns von unserer Tochter geblieben sind und immer bleiben werden. So machten wir Familienfotos, hielten unsere Tochter in den Armen, machten Hand- und Fußabdrücke, spielten Harfe für sie, erzählten ihr von uns und der Welt, bemalten ihren Sarg und statteten ihn innen aus. In einer sehr berührenden Abschiedsfeier konnten wir im kleinen Kreis von unserer Tochter verabschieden und sie aus dem Hospiz zum Auto des Bestatters geleiten.
Von vielen Händen getragen
Was wir erst hinterher merkten, war, wie viele liebevolle fleißige Hände uns in dieser Zeit gestützt haben. Wir hatten das Gefühl, dass wenn wir einem Mitarbeiter sagten, was wir brauchen, sofort das ganze Team informiert ist und jeder sein Bestes gibt, um zu helfen. Die Kinder konnten nach ihren Bedürfnissen in der Werkstatt töpfern und mitten im Sommer Weihnachtsmusik hören, sie liebten das Schwimmbad, die Fahrzeuge vor dem Essensraum und den Innenhof. Es gab für meinen Mann und mich immer jemanden zum Reden, aber auch zum gemeinsamen Schweigen. Nicht nur wir, sondern das ganze Team hat sich von unserer Tochter verabschiedet. Niemals sonst in meinem Leben habe ich so viel bedingungslose Liebe und Respekt erfahren. Wir wurden nie bewertet, sondern konnten „einfach“ sein.
Es gab uns Trost, dass viele der Mitarbeiter regelmäßig bei unserer Tochter im Abschiedsraum waren und nach ihr schauten. So wurde sie ein Stück weit „lebendig“. Unsere Tochter hat bei vielen etwas bewegt, ganz individuell und uns Gespräche ermöglicht, die wir sonst nie geführt hätten. Das ist sehr wertvoll für uns und stärkt uns im Alltag, in dem das Umfeld doch relativ schnell das Interesse verloren hat, da unsere Tochter in unserem Alltag ja außer im Bauch nie präsent war.
Erinnerungen bewahren
Das Hospiz ist für unsere ganze Familie zu einem wichtigen Ort geworden. Die Kinder fragen regelmäßig, wann wir wieder dorthin dürfen. Trotz der Traurigkeit verbinden sie viele schöne Erinnerungen mit dem Hospiz. Unser älterer Sohn sagte einmal: „Die sind wirklich alle lieb. Das gibt es nur dort.“
Für meinen Mann und mich sind die Trauerbegleitung und die Möglichkeit, Erinnerungsstücke für unsere Tochter zu schaffen, wichtige Inseln im Meer der Trauer. Wir hoffen, dass Familien, die in einer ähnlichen Situation sind, ebenfalls diese Unterstützung erfahren dürfen und danken den Mitarbeitern und Unterstützern des Kinderhospizes von ganzem Herzen.
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