Frau Riehm, was hat Sie motiviert, als neue Gesamtleiterin ans Hospiz Stuttgart zu kommen?
Schon lange beschäftige ich mich mit der Palliativ- und Hospizarbeit und ich verspürte schon früh in meiner beruflichen Zeit als Pflegekraft den Wunsch, einmal in einem Hospiz zu arbeiten. Ich war sehr gerne in der Pflege tätig und habe durch meine Weiterentwicklung auch meine Fähigkeiten im Führungs- und Managementbereich entdeckt. Dass ich nun die Möglichkeit bekomme, für das Hospiz Stuttgart die Gesamtleitung zu übernehmen, ist mir eine große Ehre.
Sie sind schon über 20 Jahre in der Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Menschen tätig. Wie erleben Sie den gesellschaftlichen Umgang mit diesen Themen und was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Es hat sich in den letzten 20 Jahren viel getan und die Themen Sterben, Tod und Trauer haben in der Gesellschaft ihren Platz gefunden. Trotzdem erlebe ich noch viel Schweigen und Verdrängen. Oft werde ich gefragt, wie ich mich freiwillig diesem schweren Thema widmen kann. Viele Menschen möchten sich erst damit auseinandersetzen, wenn Sterben, Tod und Trauer in ihrem persönlichen Umfeld „dran“ sind. Doch dann trifft es sie meist völlig unvorbereitet. Daher wünsche ich mir dem Thema mit etwas mehr „Leichtigkeit“ zu begegnen, im Sinne von, "da kann man drüber reden". Es braucht meiner Meinung nach mehr Offenheit, da mir oft eine große Angst begegnet. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn es um lebenswichtige Themen und um die Lebensgestaltung geht.
Wo sehen Sie zukünftig die besonderen Herausforderungen für die Hospizarbeit?
Eine große Herausforderung liegt mit Sicherheit darin, Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich für die Hospizarbeit engagieren. Dies muss in allen gesellschaftlichen Schichten und in alle Lebensphasen ankommen und passen. Eine weitere Herausforderung sehe ich im Angebot, dass Menschen, wenn Sie denn über ihre Sorgen und Ängste der letzten Lebensphase – egal in welchem Alter – sprechen wollen, dafür auch eine Möglichkeit und eine Anlaufstelle bekommen. Der Einsamkeit vieler Menschen müssen wir begegnen und helfen, diese zu lindern. Von daher ist es wichtig, den hospizlichen Auftrag immer wieder zu bewegen und den Menschen zuzuhören, was deren Bedürfnisse, Sorgen und Ängste sind.
Für die stationäre Versorgung stehen sicherlich ebenfalls Herausforderungen an. Was braucht die stationäre Versorgung und wer braucht eine stationäre Versorgung? Die Rahmenvereinbarungen werden neu verhandelt und es gilt die Frage, was gibt es für Möglichkeiten, auch teilstationäre Angebote zu machen und wie sieht dafür der Rahmen aus? Hospizeinrichtungen sind ganz besondere Orte, an denen die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Menschen im Vordergrund stehen. Da ist es wichtig, dass eine Finanzierung gut aufgestellt ist und trotzdem die von außen gestellten Anforderungen nicht zu viel Einfluss auf die einzelnen Einrichtungen nehmen. Es darf keine Überregulierung, wie es schon in vielen anderen Bereichen gibt, Einzug halten. Wie und wo ist der richtige Ort für das Sterben? Diese Fragen müssen wir uns wie schon in der Vergangenheit, auch zukünftig stellen. Das ist regional unterschiedlich und dafür müssen wir neue Ideen entwickeln und die bestehenden Angebote im Blick behalten. Und wir müssen alle Beteiligte erreichen und einbeziehen. Dafür sind Angebote zur Schulung und Weiterentwicklung notwendig.
Was ist notwendig, um diesen Herausforderungen begegnen zu können?
Immer das Ohr an den betroffenen Menschen haben. Ein gutes Miteinander im Team der Verantwortlichen und immer eine Offenheit haben, wie es auch anders gehen könnte. Ein großes Gut im Hospiz Stuttgart ist die die langjährige Erfahrung. Aus dieser lässt sich viel Vertrauen schöpfen. Das heißt zu wissen, dass es bisher sehr gut gelungen ist, diesen Herausforderungen, die es ja auch in der Vergangenheit gab, zu begegnen. Ich freue mich sehr darauf, mit so vielen erfahrenen und engagierten Menschen das Hospiz Stuttgart zukünftig zu gestalten und die Herausforderungen anzunehmen.
Welchen persönlichen Herzenswusch haben Sie bei der Wahrnehmung Ihrer neuen Aufgabe?
An die bisherige Aufgabe und Wirken des Hospiz Stuttgart gut anknüpfen zu können. Für die Mitarbeitenden, Ehrenamtlichen und allen Beteiligten ansprechbar zu sein und gemeinsam den hospizlichen Auftrag, für die sterbenden und schwerstkranken Menschen einen guten Ort zu schaffen, an denen sie gesehen und begleitet werden, wahrzunehmen. Die Lebensfreude bis zum Lebensende in den Fokus zu stellen und somit den Themen Sterben, Tod und Trauer die Schwere zu nehmen.
Was sind Ihre persönlichen Kraftquellen für diese anspruchsvolle Aufgabe?
Zeit mit meiner Familie zu verbringen, die mir für alle meinen vielen bisherigen Aufgaben schon immer den Rücken gestärkt hat. Zeit in der Natur verbringen und unbeschwert sein zu können. Unternehmungen und Gespräche mit Freunden. Dazu gehe ich gerne in Konzerte unterschiedlicher Richtungen und mag kulturelle Veranstaltungen mit Theater, Tanz und Musik. Und letztendlich ist es auch eine Kraftquelle, zu erleben, wie Gutes im Alltag möglich ist im Miteinander aller Beteiligten. Von daher freue ich mich auf die neue Aufgabe und werde auch aus dem täglichen Tun Kraft schöpfen. Es sind ja oft auch die kleinen alltäglichen Begegnungen, die einem Freude bereiten und die einem Kraft geben. Und da bin ich überzeugt, wird es viele geben.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Wir freuen uns sehr, Sie in unserer Mitte willkommen zu heißen!
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