Auch wir im Hospiz müssen in Zeiten der Kontakteinschränkung während der Corona-Krise anderen Menschen überlegt und vorsichtig begegnen. Die Gefahr der Ansteckung ist groß: Ansteckung Kranker und ihrer Angehörigen, aber auch der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter*Innen im Hospiz.
Und trotzdem: Wir möchten Sterbende und ihre An- und Zugehörigen in akuten Sterbesituationen nicht alleine lassen, wenn sie Beistand wünschen.
Dies gilt auch für Menschen in einer Klinik, in der das Ambulante Erwachsenenhospiz des HOSPIZ STUTTGART Begleitungen anbietet. Angehörige dürfen derzeit Krankenhäuser und Heime nicht betreten – eine große Belastung für die Kranken und ihre Nächsten. Nur im Falle von Patient*innen und Bewohner*Innen, die sich im allerletzten Lebensabschnitt befinden und in die Sterbephase eintreten, kann eine Ausnahme gemacht werden. So auch im Falle des 86jährigen Herrn Schneider, der wegen einer akuten Herzschwäche in einer Klinik war, nun aber seine letzte Reise antrat. Herr Schneider selbst benötigte keine Gespräche mehr, er ruhte in sich selbst. Aber die Nähe seiner 83jährigen Ehefrau, mit der er eine sehr glückliche, wenngleich kinderlose Ehe geführt hatte, war ihm Hilfe und Trost. Sie hatten sich immer sehr nahegestanden. Frau Schneider verbrachte den ganzen Tag am Bett ihres Mannes, von morgens 8 Uhr bis manchmal 21 Uhr. Jede Minute war ihr wichtig, gleichzeitig war sie tieftraurig über den absehbaren Tod ihres Mannes. Es war niemand da, mit dem sie ihre Sorgen, Nöte und auch ihre Lebenserinnerungen teilen konnte, denn ihr Mann wollte und konnte sich kaum noch äußern.
Die Mitarbeiter*innen der Station, auf der Herr Schneider lag, sorgten sich nicht nur um ihn als ihren Patienten, sondern auch um seine Ehefrau. Deshalb fragten sie – nach Rücksprache mit Frau Schneider – im Ambulanten Erwachsenenhospiz nach, ob es auch in dieser schwierigen Zeit eine ehrenamtliche Begleiterin für Frau Schneider geben könnte. Auch wenn wir vom Ambulanten Erwachsenenhospiz im Moment die Begleitungsangebote überwiegend auf telefonische Begleitung umgestellt haben, so überlegen wir doch immer wieder, ob eine persönliche Begleitung in akuten Sterbesituationen möglich ist.
Eine unserer langjährigen Ehrenamtlichen, Frau Reikers, erklärte sich bereit, Frau Schneider in der Klinik zu besuchen. Schon das Ankommen in der Klinik war anders als sonst: Eine geschlossene Tür, Anmeldung an der Pforte und eine komplett leere Eingangshalle. Oben auf Station angekommen, besuchte Frau Reikers zunächst Herrn und Frau Schneider im Zimmer. Herr Schneider atmete tief, aber war ruhig. Beide Frauen setzen sich dann in eine Sitzecke der Station, um sich kennen zu lernen und über das zu sprechen, was für Frau Schneider im Moment wichtig war. Es war nicht einfach, bei dem gebotenen Sicherheitsabstand ein Gefühl von Nähe zu erreichen. Nähe, die über passende Worte oder ruhiges Da-Sein gebildet wird, auch wenn Begleitete und Begleiterin einen deutlichen Abstand zueinander einhalten mussten. Aber es gelang: Nach kurzer Zeit erzählte Frau Schneider vom gemeinsamen Leben mit ihrem liebevollen Mann, vom großen Freundeskreis und den schönen Erlebnissen in einer langen Ehe. Die meisten ihrer gemeinsamen Freunde waren inzwischen verstorben, deshalb tat ihr die zugewandte Begleitung von Frau Reikers gut. Es gab Vieles, das zu erzählen war, und es war wichtig, in der ehrenamtlichen Begleiterin jemanden zu haben, der in dieser schweren Situation mit Wärme und Interesse zuhörte.
Frau Reikers besuchte das Ehepaar Schneider noch zweimal in der Klinik, bis Herr Schneider – einen Tag nach dem 49. Hochzeitstag – friedlich verstarb. Frau Reikers bleibt weiterhin in telefonischem Kontakt mit Frau Schneider, um sie auch in der schweren Zeit nach dem Tod des Ehemannes zu begleiten.
Gerade jetzt, wo Kontakte so schwierig geworden sind, ist jede zugewandte Begegnung – auch mit Abstand, auch telefonisch – für Menschen in einer schwierigen Lebenssituation ein Lichtblick.
Dr. Christine Pfeffer | Leitung Ambulantes Erwachsenenhospiz
Kommentare
Einen Kommentar schreiben