Eine besondere Zeit ist durch den Ausbruch der Corona-Pandemie auch bei uns im Kinder- und Jugendhospiz Stuttgart im Frühjahr 2020 angebrochen. Trotz vieler Unsicherheiten am Anfang im Umgang mit der unbekannten, höchst ansteckenden Krankheit waren wir zunächst einmal zuversichtlich, dass die drohenden Gefahren der Erkrankung schnell wieder unter Kontrolle sein würden und dass bald alles wieder wie bisher gehandhabt werden können. Wir wurden eines Besseren belehrt und versuchen seitdem unter Einhaltung der vorgeschriebenen Maßnahmen für den Umgang mit COVID-19 unseren Alltag kinderhospiztauglich zu gestalten.
Wir haben frühzeitig unsere stets offenen Türen für alle Besucher*innen geschlossen, alle Veranstaltungen abgesagt, unsere Kontakte so gut es ging beschränkt, einen Pandemieplan erstellt, alle neuen Hygienevorschriften ein- und durchgeführt. Wir haben in vielen Gesprächen mit beratenden Stellen beschlossen, das stationäre Kinder- und Jugendhospiz für die Sterbebegleitung der Familien und für die Begleitung von Familien in schwersten Krisen geöffnet zu halten. Am schwersten war es, den Familien, die zu einem Entlastungsaufenthalt bei uns eingeplant waren, abzusagen. Mit dem Wissen, dass „unsere“ Familien oft schon höchstbelastet sind, haben wir uns die Entscheidungen nicht leichtgemacht. Fast alle Familien zeigten jedoch für die Absagen größtes Verständnis. Es war ja auch bei fast allen vorrangig die Angst zu spüren, dass sich ihre Kinder auch mit dem Coronavirus infizieren könnten. Einige Zeit hatten wir nur einen jungen Mann in seiner letzten Lebensphase bei uns zu Gast, der sich trotz Ausbruchs der Pandemie bewusst dazu entschlossen hatte, bei uns zu bleiben. Er bastelte in seinen „guten“ Stunden einen Corona-Abstandshalter mit den Kolleginnen und Kollegen und hatte dabei seine Freude. Seine Aussage „Hier bei Euch fühle ich mich am sichersten“ hat uns sehr berührt. Wir sind dankbar, dass es uns möglich blieb, ihm einen sicheren Ort bis zu seinem Sterben zu ermöglichen.
Nicht nur für die Familien war und ist diese Pandemie eine große Herausforderung. Auch die Kolleg*innen und die Leitungsverantwortlichen – wir alle waren verunsichert. Schaffen wir es, dass die Familien bei uns und auch wir selbst gesund bleiben? Dürfen wir Ehrenamtliche, deren Engagement eine wichtige Grundlage unserer Hospizarbeit ausmacht, weiterhin einbinden? Wie können wir Nähe, die grundlegend für unsere Arbeit ist, trotz Abstand, Schutzkleidung und Mundschutz erlebbar gestalten? Können wir diese Krise finanziell stemmen? Bekommen wir genügend Schutzausrüstung? Die Liste der vielen offenen Fragen ließe sich noch lange fortsetzen.
Inzwischen haben wir einiges entwickelt und viel gelernt. Das Wichtigste für uns alle war sicherlich die Erfahrung, wie zerbrechlich unser Leben, unsere Sicherheit und unser Wohlstand ist – auch in unserer hoch entwickelten Zeit, in der alles machbar zu sein scheint. Wir konnten Vertrauen lernen, die Solidarität in unserer Gesellschaft erleben und sehen, dass unser Gesundheitssystem, trotz aller Kritik, funktioniert. Wir sind sehr dankbar über die vielen Zeichen der Unterstützung, sei es durch das Nähen und Schicken von Behelfsmasken oder sonstiger Schutzausrüstung. Immer wieder erreichten uns Briefe und Karten mit aufbauenden Worten und Taten. Auch über die Geldzuwendungen, die in dieser unsicheren Zeit trotzdem weiterhin gespendet wurden, freuen wir uns sehr. Unser Bedürfnis nach Sicherheit und Nachhaltigkeit für unsere Arbeit werden dadurch ein Stück mehr erfüllt. Und wir können unser gemeinsames und übergeordnetes Ziel, für die Familien da zu sein, weiter umsetzen.
Wir können zwar unsere Möglichkeiten der Belegung, acht Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und ihre Familien bei uns aufzunehmen, immer noch nicht umsetzen. Denn wir kommen aufgrund der begrenzten räumlichen Möglichkeiten und den erforderlichen Abstands- und Hygieneregeln immer wieder an unsere Grenzen. Wir suchen jedoch jeden Tag nach kreativen Lösungen, wie wir den Alltag und unsere Arbeit gemeinsam mit den Familien gut und sicher leben können. Dabei sind wir immer wieder, auch je nach Situation auf der Suche nach neuen und eventuell besseren Ideen. Wo können wir heute den Morgenkreis mit allen abhalten? Wo finden unsere Übergaben statt? Wie können wir uns besprechen? Funktionieren die Internetverbindungen für geplante Video- und Telefonkonferenzen? Wir reagieren jeden Tag flexibel auf das was kommt.
Obwohl wir noch nicht wissen, wie es, vor allem jetzt in der kommenden Erkältungszeit, weitergeht und wir uns noch mitten in der Coronazeit befinden, sind wir zuversichtlich, dass wir gestärkt gemeinsam aus der Krise hervorgehen werden. Wir danken allen, die uns darin unterstützen, und grüßen Sie herzlich, Ihr Team des stationären Kinder- und Jugendhospiz Stuttgart.
Michaela Müller, Leiterin Stationäres Kinderhospiz
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