Vor etwas über einem Jahr hat Carola Riehm die Gesamtleitung - stationäre und ambulante Bereiche des Kinder- und Jugendhospizes sowie des Erwachsenenhospizes, Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie® und Landesstelle Baden-Württemberg – Begleitung von Familien mit einem schwer kranken Kind am Hospiz Stuttgart - des Hospiz Stuttgart übernommen.
Mit Carola Riehm hat das Hospiz Stuttgart eine ausgewiesene Fachkraft im Bereich Palliative Care bekommen. Die berufliche Laufbahn der aus Besigheim stammenden 52-jährigen begann ganz klassisch als Krankenpflegefachkraft und später als Stationsleitung. „Den Großteil meines beruflichen Weges bin ich in der Filderklinik (Filderstadt) gegangen. Dort habe ich meine Leidenschaft für die pflegerische Versorgung von schwerkranken und sterbenden Menschen gefunden und weiterentwickelt“, erzählt Carola Riehm.
Es folgten ein Bachelorstudium für angewandte Pflegewissenschaften (Bachelorarbeit über ein Pflegekonzept für die Hospizarbeit), die Übernahme der Pflegedienstleitung (Mitglied der Klinikleitung), ein Masterstudiengang für Management und Führungskompetenz sowie der Wechsel ans Hospiz Stuttgart. Nach einem Jahr hier zieht sie die erste Bilanz:
RED: Was waren Ihre ersten Eindrücke von den beiden Hospizen (ambulantes/stationäres Kinder- und Jugendhospiz bzw. ambulantes/stationäres Erwachsenenhospiz) sowie der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie® und der Landesstelle Baden-Württemberg – Begleitung von Familien mit einem schwer kranken Kind am Hospiz Stuttgart?
CR: Sofort fiel mir die ausgeprägte Willkommenskultur und die spürbare Nähe zu den Menschen ins Auge – sie steckt in jeder Faser unserer Hospizbereiche und berührt mich sehr. Die Mitarbeitenden tragen die hospizliche Haltung in alle Lebensphasen und Alltagsthemen hinein. Damit geben sie jedem Moment eine Chance, mit Würde und Leben erfüllt zu sein. Daraus wird klar: Haupt- und Ehrenamtliche leben eine Haltung, welche das Kranksein und Sterben nicht ausblendet, sondern als wertvollen Teil des Lebens begreift und lebendig gestaltet. Besonders schön ist es, wie dies immer wieder in den kleinsten Dingen festgehalten wird: im wohligen Duft frisch gebackenen Kuchens, in der Wärme des Kaffees oder in den rauschenden Blättern im Garten. Und selbst Lieder aus Kindertagen – etwa „In einem grünen Apfel“ oder „Der Kuckuck und der Esel“ – können Augen zum Leuchten bringen und Herzen öffnen.
RED: Welche Termine und Events standen an, die Sie nachhaltig berührt haben?
CR: Ganz ehrlich gesagt, waren das gleich mehrere spannende Momente hintereinander. Zuerst das traditionelle Sommerfest für Haupt- und Ehrenamtliche auf der „schönsten Terrasse Stuttgarts“, der Hand-in-Hand-Spendenlauf, die Eröffnung des vierten Eltern-Apartments und zwei Tage der offenen Tür. Dazu kamen zahlreiche wegweisende Entscheidungen und der Aufbau neuer Strukturen. Wir befinden uns noch mitten im Gestaltungsprozess, doch wir dürfen stolz auf viel Erreichtes zurückblicken.
RED: Fast noch ganz aktuell kam am 14. August 2025 Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, zu Besuch ins Hospiz Stuttgart. Während seines circa einstündigen Aufenthalts haben Sie ihn sowohl durch das Kinder- und Jugendhospiz als auch durch das Erwachsenenhospiz geführt. Erzählen Sie mal…
CR: Mit Manne Lucha hatten wir einen intensiven und fruchtbaren Austausch. Gemeinsam sprachen wir über die wachsende Bedeutung einer ganzheitlichen Begleitung – sowohl für die Gäste als auch ihre Familien beziehungsweise Zugehörigen. Im Kinder- und Jugendhospiz bedeutet das vor allem: Freizeitangebote für Geschwisterkinder und Eltern, kreative Hilfen zur Krankheitsbewältigung sowie Trauerbegleitung der Geschwister, der Eltern und Großeltern, zugeschnitten auf die jeweilige Gruppe. Analog dazu gewinnt auch die Trauernachsorge im Erwachsenenhospiz an Bedeutung, die bislang überwiegend über Spenden finanziert werden. Wir waren uns einig, dass wir gemeinsam das öffentliche Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Angebote schärfen und alles tun müssen, damit sie dauerhaft erhalten bleiben.
RED: Mit dem Blick in die Zukunft gerichtet: Welche Aufgaben oder Herausforderungen kommen hinsichtlich der Hospizarbeit im Allgemeinen auf Sie zu?
CR: In dieser krisenbehafteten Zeit lohnt es sich, die Bedeutung der Hospizarbeit für unsere Gesellschaft erneut deutlich zu machen. Unsere Idee: Aus der Erfahrung der Hospizarbeit Sinnhaftes ziehen und zeigen, dass Begleitung und Unterstützung heute – und auch morgen – wichtiger denn je sind.
RED: Was sind dabei Ihre besonderen Anliegen?
CR: Mir liegt am Herzen, Hospizarbeit für die Gesellschaft sichtbarer zu machen, damit sie tatsächlich wirken kann. Sterben gehört zu unserem Leben dazu – es alltäglicher zu denken, bedeutet, ihm respektvoll Raum zu geben. Die Tabuisierung zu durchbrechen und der Gesellschaft einen freieren Umgang damit zu ermöglichen, ist mein großer Wunsch. Fakt ist: Der demografische Wandel und verändernde Familienstrukturen führen dazu, dass künftig immer mehr Menschen in Hospizen und Pflegeeinrichtungen betreut werden. Damit das gelingt, brauchen wir neben Spenden vor allem haupt- und ehrenamtliches Engagement. Darauf sollten wir auch zukünftig setzen.
RED: Bei all den Anstrengungen und Bemühungen braucht es auch persönliche Kraftquellen wie Hobbys und Familie. Wie sieht es da bei Ihnen aus?
CR: Meine private Kraftquelle nach der Arbeit ist die gemeinsame Zeit mit meiner Familie. Die gemeinsamen Momente mit meinem Mann und meinen beiden Töchtern geben mir Halt und Energie und erinnern mich daran, wofür ich mich einsetze. Dazu gehört auch ein starkes kulturelles Interesse. Ich liebe es, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen zu besuchen – dort tanke ich Inspiration, Austausch und Herz. Ein bisschen politisches Engagement als ehrenamtliche politische Sachverständige für Kultur in Sindelfingen bleibt mir ebenfalls treu. Und morgens beginnt mein Tag mit einem kleinen Ritual: Stricken. Dieses ruhige Tun hilft mir, den Kopf frei zu bekommen, Fokus zu finden und in den Tag zu starten. Es ist eine Erinnerung daran, dass Geduld und Konzentration sich auszahlen, sowohl privat als auch beruflich.
RED: Herzlichen Dank, Frau Riehm, für den Einblick in Ihre Arbeit und die Bilanz nach einem Jahr im Amt. Ihnen und Ihrem Team an dieser Stelle mal ein herzliches Dankeschön für die so wertvolle Arbeit, die Sie im Auftrag der Evangelischen Kirche in Stuttgart über die Stadt- und Bundeslandgrenzen hinaus leisten, und auch dafür, dass Sie das immer wichtiger werdende Thema Hospizarbeit so beispielhaft in die Öffentlichkeit tragen.
Das Interview finden Sie auch auf der Webseite der Evangelischen Kirche Stuttgart.
Foto: Reiner Pfisterer
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